Die Causa zu Guttenberg: Über Rücktritt und mediale Verblendung
Unwiderlegbar kopiert
Die Diskussion über die Doktorarbeit unseres Verteidigungsministers zu Guttenberg beunruhigt mich. Zu Guttenberg hat über ein Fünftel seiner Doktorarbeit nicht selbst verfasst, sondern aus fremden, nicht zitierten Quellen kopiert – dies ist für jeden offen einseh- und nachprüfbar.
Das Ausmaß lässt keinen anderen Schluss zu, als dass dies vorsätzlich geschah; Zitierfehler können passieren, aber nicht auf jeder zweiten Seite und schon gar nicht, wenn der zitierte Text ein Fünftel der gesamten Arbeit ausmacht. Die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten – das, was mit der Doktorarbeit nachgewiesen und mit dem „Dr.“-Namenszusatz symbolisiert wird – schließt ein, Quellen zu verarbeiten und in eigenständige Gedankengänge einzubauen. Unreflektiert seitenweise Text und Fazits zu übernehmen (egal, ob mit oder ohne Quellenangabe), gehört nicht dazu.
Dass die gefundenen Passagen, die beinahe wortwörtlich übernommen sind, nicht gekennzeichnet sind, zeigt, dass der Autor sehr genau wusste, dass dies nicht dem von ihm geforderten wissenschaftlichen Arbeiten entspricht. Die Doktorarbeit enthält also nicht einfach nur „Fehler“, sondern ist mit Absicht und unter vollem Bewusstsein in dieser täuschenden Art geschrieben worden.
Politische Konsequenzen
Beunruhigend für mich ist, dass drei Viertel der deutschen Bevölkerung dies nicht für einen Grund halten, den Rücktritt zu Guttenbergs zu fordern. Die vorsätzliche Täuschung bei seiner Doktorarbeit lässt darauf schließen, dass zu Guttenberg als Person keine Integrität besitzt, schon gar nicht in dem Maße, in dem sie ihm durch die deutschen Leitmedien in letzter Zeit zugeschrieben worden ist.
Darf jemand, der seinen Doktorgrad nicht rechtmäßig, sondern auf moralisch verwerfliche Weise erworben hat, wirklich Minister der deutschen Regierung bleiben? Nein!
Das Problem besteht meines Erachtens in der zerstörten Vertrauensbasis: Zu Guttenberg ist (zumindest in seinem Bundestagsmandat, aber durch die CSU/CDU-Zweitstimmen auch indirekt als Bundesminister) ein vom Volk demokratisch gewählter Vertreter des Volkes. Die Wähler beschließen mit der Stimmabgabe, der Partei und ihren Köpfen zu vertrauen – sie vertrauen darauf, dass diese das vorher Gesagte umsetzen oder zumindest politisch im Sinn ihrer Wähler handeln.
Wahl bedeutet also das Schenken von Vertrauen. Erstens hat sich zu Guttenberg dieses Vertrauen aber unrechtmäßig erworben, da sich durch die Bekanntwerdung der Täuschung bei der Doktorarbeit eine neue Bewertung des Charakters zu Guttenbergs ergeben muss. Zweitens besteht die Frage, warum einem Politiker vertraut werden sollte, der moralisch so verwerflich handelt.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, wobei diese moralisch verwerfliche Handlung entstand – dies ist bedeutend zur Abgrenzung gegen andere Politiker, die möglicherweise auch Wähler belügen oder schmerzliche Wahrheiten beschönigend darstellen: Der Grund für zu Guttenberg bestand nicht im durchaus moralisch schwer zu bewertenden politischen Betrieb (Ich würde gerne wissen, wie weit man tatsächlich kommt, ohne einmal gelogen zu haben.), sondern im Aufpolieren seiner eigenen Person. Er wollte wohl nie als Dr. jur. berufstätig werden, sondern den Titel nur benutzen, um damit als Person in der Politik erfolgreicher zu sein – was ja an sich nichts verwerfliches ist, solange dabei alles mit rechtmäßigen Dingen zugeht.
Auf dieser Basis kann zu Guttenberg kein Minister bleiben. @christiansoeder hat auf Twitter eine schöne Analogie gezogen: „Es sind in Deutschland übrigens schon Menschen wegen Unterschlagung von 2-Euro-Pfandbons und Käsebrötchens entlassen worden.“ Das war rechtens, weil das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstört war. Genau so ist jetzt das Vertrauensverhältnis zwischen Volk und Regierungsmitglied zerstört.
Anhaltende Unterstützung
Dennoch wird zu Guttenberg von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt, ein Rücktritt wird mehrheitlich abgelehnt. Dies erschreckt mich: Eine Person, die gegen allgemein anerkannte gesellschaftliche Normen verstößt, bekommt vom Volk Absolution. Dies ist umso erschreckender, bedenkt man, dass es in Zukunft auch um politische Fehlschläge gehen kann, mit eventuell gravierenden gesellschaftlichen Folgen – dass das Volk dann gereizter reagieren würde, ist unwahrscheinlich: Schließlich wird an zu Guttenberg nicht die Politik, sondern die Person geschätzt – ein Angriff auf das Bild der Person ist also gewichtiger als einer auf seine Politik.
Verantwortlich sind natürlich die Medien, die das Bild eines edlen, klugen, tatkräftigen und kompetenten Mannes zeichnen – sie haben es geschafft, zu Guttenberg so erstrahlen zu lassen, dass auch die unverfälschten Bilder eines Schummlers davon überstrahlt werden und somit keine Wirkung entfachen.
Dass Menschen verführbar ist, war mir klar. Dass sie aber so leicht verführbar sind, nicht. Die blinde Verteidigung und Ablehnung aller Vorwürfe hat bereits die Ausmaße einer ideologischen Verblendung angenommen, wie die Unzugänglichkeit von Argumenten zeigt. Dies ist geschehen, ohne dass diejenigen, wie ich, die diese Umstände jetzt erkennen, das vorher bemerkt hätten.
Die Personenverehrung, die zu Guttenberg zuteil wird, ist aber äußerst gefährlich. Für Menschen, die wir verehren, sind wir bereit, unsere Grundsätze aufzugeben. Und auch wenn es alarmistisch und unrealistisch klingt: Die Personenverehrung kann durchaus Folgen auf unser politisches System und die Demokratie haben. Dies gilt es zu verhindern.