Wird die Euro-Krise heute gelöst?
Die Rettung des Euro scheint in die entscheidende Phase zu gehen. Heute sollen der Bundestag und Bundesrat den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und den Fiskalpakt verabschieden – so will die Bundesregierung die Eurokrise lösen. Die Hoffnung, die die Bundesregierung verbreitet und auch die breite Mehrheit des Bundestags aus CDU/CSU-, FDP-, SPD- und Grünen-Fraktion, dass dies die entscheidende Wende ist, ist allerdings, um es vorsichtig auszudrücken, leicht optimistisch.
Keine „Staatsschuldenkrise, sondern eine Euro-Krise“
Warum? Die Lösungen passen nicht für das Problem: Wie Mark Schieritz in der ZEIT völlig zutreffend schreibt, haben wir keine „Staatsschuldenkrise, sondern eine Euro-Krise“. Das Problem waren noch nie zu hohe Schulden verschiedener Länder. (Möglicherweise ist dies in Griechenland der Fall, sodass dieses Land eine „Sonderbehandlung“ bräuchte – auf die anderen Krisenländer trifft das nicht zu.) Die USA zum Beispiel sind im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung weit höher verschuldet als der Euroraum, ebenso Japan. Es geht also nicht um die Höhe der Staatsschulden – das Problem war schon immer die Verfassung der Währungsunion: Eine Währungsunion könnte im lockeren Staatenverbund gut funktionieren, wenn alle Länder wirtschaftlich ungefähr gleich stark wären – dies ist im Euroraum aber nicht der Fall. Eine Währungsunion erfordert also mindestens einen, wahrscheinlich zwei bestimmte Umstände:
Bedingung für eine funktionierende Währungsunion: die politische Union
Erstens muss es eine übergeordnete Instanz geben, die die wirtschaftliche Entwicklung in allen Staaten der Währungsunion regelt. Das bedeutet entweder, dass diese politische Instanz durch Förderung bzw. Abkühlen der verschiedenen Volkswirtschaften darauf achtet, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der verschiedenen Staaten auf ein gemeinsames Niveau gehoben wird. Wahrscheinlicher, weil einfacher, ist aber, wie das etwa in den USA der Fall ist, dass die unterschiedlichen Niveaus der Staaten durch Transfers mehr oder weniger ausgeglichen werden. Durch diese Transfers wird verhindert, dass einzelne Staaten, wie das im Euroraum Griechenland wäre, so weit zurückfallen, dass die Gläubiger Zweifel an der Fähigkeit des Landes haben, seine Schulden zurückzuzahlen. Diese erste Bedingung muss auf jeden Fall erfüllt sein, damit eine Währungsunion funktionieren kann (siehe zum Beispiel Prof. G. Illing: Optionen im Euroraum). Bei dem Niveau der Staatsverschuldung, das wir aber in der Eurozone oder z. B. in den USA erreicht haben, ist aber für die langfristige Sicherheit der Währungsunion noch eine andere Bedingung notwendig: die explizit ausgesprochene Erklärung der Europäischen Zentralbank EZB, im Notfall für die Schulden der Länder einzuspringen.
Die Rolle der Zentralbank
Was bedeutet das? Die Zentralbank muss die Fähigkeit haben, Staatsschulden notfalls durch direkte Aufkäufe von Staatsanleihen zu finanzieren. Dies ist der Grund, warum Länder mit viel höheren Verschuldungen, als sie der Euroraum hat, leben können ohne größere Probleme, d. h. ohne dass „die Märkte“, die diese Schulden ja finanzieren und von denen die Staaten sich freiwillig durch die Aufnahme immer neuer Schulden abhängig gemacht haben, Zweifel an der Zahlungsfähigkeit dieser Staaten aufkommen lassen. Im Notfall kann die Zentralbank einfach „Geld drucken“ und damit Staatsanleihen kaufen – natürlich würde dies zu höherer Inflation führen; aber die Rückzahlung der Schulden mit Geld, das etwas weniger wert ist, ist aus Sicht der Märkte natürlich um einiges besser als keine Rückzahlung, weil der Staat pleite ist. In einem Währungsraum, der zu einem recht hohen Niveau verschuldet ist, wie das im Euroraum oder in den USA der Fall ist, ist diese Fähigkeit der Zentralbank zur „Notfallfinanzierung“ essentiell. Das Interessante daran ist aber: Diese Fähigkeit alleine sorgt normalerweise schon dafür, dass die Zentralbank diese Fähigkeit gar nicht ausnutzen muss! Zu einer solchen Eskalation, wie wir sie im Euroraum gerade erleben, wäre es nicht gekommen, hätte die EZB diese Fähigkeit von Anfang an und explizit besessen: Die Märkte hätten Spanien, Italien, Irland, Portugal etc. nicht dazu gezwungen, solch hohe Risikoaufschläge auf ihre Staatsanleihen zu zahlen, weil sie damit gerechnet hätten, dass im Notfall die EZB einspringt. Die EZB hat zwar schon jede Menge Staatsanleihen dieser Länder gekauft; allerdings scheint sie nicht bereit, dies in ausreichendem Umfang zu tun, sodass allein schon die Befürchtung, dass sie nicht dazu bereit ist, dazu führt, dass die Krisenländer noch höhere Zinsen zahlen müssen. Wenn diese Länder nun höhere Zinsen zahlen müssen, besteht schnell die Gefahr, dass die Zinszahlungen die Leistungsfähigkeit des Landes übersteigen. Deshalb hat Spanien so große Probleme, obwohl die Staatsverschuldung relativ zum Bruttoinlandsprodukt weit unterhalb der Staatsverschuldung Deutschlands liegt. Eine EZB-Garantie würde diese hohen Zinsen für Spanien verhindern und somit quasi von selbst dafür sorgen, dass Spanien als kreditwürdig angesehen würde. ESM und Fiskalpakt helfen nicht Jetzt sehen wir, warum der ESM und der Fiskalpakt die falschen Lösungen sind: Der ESM soll aushelfen, die Länder mit Krediten zu versorgen, wenn die Zinsen, die sie für diese Kredite am Markt zahlen müssen, untragbar zu hoch sind. Der Umfang des ESM wird aber viel zu klein sein, um die drohende Abwärtsspirale von Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien aufzuhalten. Der Fiskalpakt wiederum setzt genau am falschen Ende an: Er versucht die Staatsverschuldungen zu begrenzen – obwohl deren Höhe gar nicht der kritische Punkt ist! Argumentiert wird, dass eine glaubhafte Erklärung zu soliden Finanzen in der Zukunft das Vertrauen, das den Ländern jetzt entgegengebracht wird, stärkt. Vielleicht stimmt das sogar – das Problem ist nur, dass der Fiskalpakt bedeutet, dass die Staaten auch jetzt im Moment der Krise weniger Geld ausgeben dürfen und sparen müssen. Sparen in einer Krise hat aber immer den gleichen Effekt: Die Wirtschaftsleistung geht zurück, sodass auch die Höhe der Staatsschulden, die sich durch die Sparmaßnahmen nur gering verändert, relativ zum neuen, viel niedrigeren Bruttoinlandsprodukt weiter zunimmt – dies lässt das Vertrauen der Märkte natürlich wieder schrumpfen. Alle Beobachtungen der Anstrengungen der letzten Jahre im Euroraum lassen eigentlich nur den Schluss zu, dass der zweite Effekt stark überwiegt – der Fiskalpakt richtet im Moment also mehr Schaden an als er nutzt. Retten werden diese beiden Maßnahmen den Euro also nicht, da sie beide nicht die Bedingungen in Angriff nehmen, die für eine Währungsunion erforderlich sind: eine politische Union und eine Garantie der EZB. Allerdings bleibt zu entscheidenden Maßnahmen nur noch wenig Zeit, Wirtschaftsgrößen wie George Soros oder Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, geben der Eurozone zur Lösung der Probleme nur noch wenige Monate. Bis dahin müssten beide Bedingungen, die politische Union und die Garantie der EZB, zumindest so festgezurrt sein, dass die Märkte daran glauben und deshalb den Krisenstaaten wieder vertrauen können.
Scheitert der Euro?
Wie Günter Verheugen in einem großartigen Interview mit der ZEIT darlegt, wird es nicht machbar sein, in dieser kurzen Zeit eine politische Union auf die Beine zu stellen. Eine politische Union, die einen Währungsraum zusammenhalten kann, wäre auch viel mehr als die Union, die die Bundesregierung derzeit vor Augen hat – es geht nicht um ein Mitspracherecht einer übergeordneten europäischen Instanz bei der Staatsverschuldung der einzelnen Länder, sondern um die gesamte Koordination von Wirtschafts- und Finanzpolitik im Euroraum! Warum eine solche Übertragung von Kompetenz an eine europäische Instanz außerdem meiner Meinung nach derzeit nicht wünschenswert wäre habe ich in diesem Blogpost schon einmal dargelegt. Über kurze Zeit muss aber auf jeden Fall die Europäische Zentralbank helfen. Sie muss für die Staatsschulden garantieren, damit die Krise bestanden werden kann. Weigert sich die EZB, so wie es derzeit aussieht, sehe ich schwarz für den Euro.