Was tun beim Mitgliederentscheid, liebe SPDler?
Die SPD befindet sich zur Zeit in einer schwierigen Lage, und bald auch alle ihre Mitglieder, wenn sie darüber entscheiden sollen, ob die SPD mit der Union eine Regierungskoalition bilden soll. Entgegen den Umfragen der großen Institute, die eine große Befürwortung einer Großen Koalition unter den SPD-Mitgliedern vorhersagen, habe ich in meinem persönlichen Umfeld und meiner Internet-Filter-Bubble eher den Eindruck, dass es ganz schön knapp werden könnte.
Das wichtige am Koalitionsvertrag: die Inhalte!
Wie soll man sich also entscheiden? Natürlich sollte man in erster Linie über das urteilen, über das man wirklich entscheidet, also den konkreten Koalitionsvertrag, der zur Abstimmung gestellt wird. Hier allerdings habe ich Zweifel, ob alle SPD-Mitglieder begriffen haben, dass es bei einer Regierungsbildung immer um Kompromisse geht. Die SPD wird ihr wichtige Themen durchsetzen können, wird weniger wichtige Themen als Verhandlungsmasse aufgeben und andere wichtige Themen trotzdem, wegen großen Widerstands der Union, aufgeben müssen. So wird es geschehen beim Mindestlohn (wird kommen), der Abschaffung des Betreuungsgeldes (wird nicht kommen) und der Bürgerversicherung (wird nicht kommen).
Aus rein inhaltlicher Sicht müssten SPD-Mitglieder aber eigentlich zustimmen, sobald auch nur der kleinste SPD-Inhalt seinen Weg in den Koalitionsvertrag gefunden hat, denn: Ist die SPD beteiligt an der Regierung, kommen wenigstens diese paar, uns als SPDlern wichtige Punkte. Ist die SPD dagegen in der Opposition, wird eine Regierung kommen, die unsere Themen auf jeden Fall schlechter vertritt.
Große Koalition = schlecht für die SPD?
Allerdings wird diese Sicht der Dinge, die das Gemeinwohl in den Blick nimmt, meist abgewogen gegen die Perspektive, die eine große Koalition der SPD bietet. Für viele scheint der Fall klar: 2005 Wahl fast gewonnen, dann große Koalition unter Angela Merkel, dann 2009 Wahl schlimm verloren. Also muss es uns nach der nächsten großen Koalition unter Angela Merkel auf jeden Fall genauso ergehen.
Doch dieser Schluss ist höchst problematisch (es gab noch eine große Koalition, und aus der ging die SPD 1969 als Sieger hervor!) und inhaltlich schwer zu rechtfertigen. Nicht die große Koalition oder Angela Merkel haben die SPD fertiggemacht in den Jahren 2005–2009, das war zum großen Teil die SPD selbst. Zur Erinnerung: Die SPD hatte fünf Vorsitzende in vier Jahren. Die SPD hat beschlossen, die Mehrwertsteuer in größerem Ausmaß zu erhöhen als vom Koalitionspartner gefordert. Die SPD hat die Rente mit 67 offen propagiert. Die SPD wurde als einzige verantwortlich gemacht für die negativen Folgen der Hartz-IV-Reformen. Die SPD hatte 2009 einen blassen und durch diese Reformen vorbelasteten Kandidaten.
2017 wird das anders aussehen. Die SPD hat ihre innere Stabilität unter Sigmar Gabriel zurückerlangt. Es steht zu vermuten, dass unsere Führung dazugelernt hat und darauf achten wird, dass die SPD als der soziale, bessere Teil der Regierung deutlich wahrgenommen wird. Der wichtigste Unterschied scheint mir allerdings, dass 2017 der Einfluss der Kandidatenfrage deutliche Vorteile für die SPD bringen wird: Während Angela Merkel ihr Personal so im Griff hat, dass es niemanden gibt, der das Format scheint aufbringen zu können, ihr Nachfolger zu werden, und es aber unwahrscheinlich ist, dass 2017 die deutsche Bevölkerung Angela Merkel zum Kohl wählen möchte – während die Union also keine besonders gute Position in der Kanzlerkandidatenfrage hat, stehen der SPD ein fähiger Parteivorsitzender und viele etablierte Ministerpräsident(inn)en als zur Verfügung.
Erneuerung der SPD nur in der Opposition?!
Die Angst vor Angela Merkel ist so weit verbreitet unter SPD-Mitgliedern, dass sie der SPD in der großen Koalition den Untergang vorhersagen. Dass dies zumindest unwahrscheinlich ist, ist hoffentlich klar geworden. Trotzdem wird oft argumentiert, dass die SPD jetzt in die Opposition gehen müsste, um sich richtig zu orientieren für die nächsten Jahre.
Es stimmt wohl, dass die SPD sich Gedanken machen müsste, was sie eigentlich will, für welche Gesellschaft sie ist, wie sie Menschen Hoffnung geben kann und wieder zu einer Partei des Fortschritts wird. Die Fixierung auf Soziales, wie sie in den Eckpunkten für die Koalitionsverhandlungen deutlich wird, ist nur eine engstirnige Interpretation dessen, wie sich die SPD für die Zukunft programmatisch ausrichten sollte.
Die entscheidende Frage aber lautet: Warum bitte schön sollte dieser Prozess jetzt in der Opposition besser funktionieren als er es die letzten vier Jahre getan hat, in denen die SPD bereits in der Opposition war (manche SPDler scheinen das vergessen zu haben)? Dass die SPD diesen Prozess braucht, ist klar, aber warum das ausgerechnet jetzt in der Opposition besser funktionieren soll als vorher oder in der Regierung konnte mir noch niemand schlüssig erklären.
Was bedeutet die Ablehnung des Koalitionsvertrags?
Aber selbst wenn man zu dem Schluss käme, dies alles rechtfertige keine große Koalition, bleibt die Frage nach den Alternativen, die Frage lautet ja nicht: große Koalition oder Opposition.
Denn was passiert, wenn die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen, machen sich, so habe ich zumindest den Eindruck, die meisten gar nicht klar: Die SPD wäre ihren kompletten Vorstand los – alle werden den Mitgliedern die Zustimmung empfehlen und würden bei einer Ablehnung dementsprechend zurücktreten. Wir befänden uns wieder in einer Phase innerparteilicher Instabilität. Wozu das führt, siehe bitte 2005–2009.
Dazu kommt, dass es vollkommen unwahrscheinlich ist, dass die SPD dann einfach in die Opposition gehen könnte. Rot-rot-grün ist keine Option, weil die SPD diese Koalition ausgeschlossen hat und jegliches Abweichen von dieser Aussage die SPD in Grund und Boden bombt (ja, diese Aussage mag ein Fehler gewesen sein, das lässt sich aber jetzt nicht mehr ändern).
Schwarz-grün ist bereits gescheitert; vielleicht wird ein neuer Anlauf unternommen, und vielleicht funktioniert er sogar. Dann sollten wir als SPDler uns aber die Frage stellen, ob wir überhaupt noch Perspektiven auf eine Regierungsbeteiligung haben: Schwarz-grün wird die nächsten dreißig Jahre eine Mehrheit haben; da kann die SPD dann gleich heimgehen.
Und eine Minderheitsregierung von Angela Merkel ist, egal wie wünschenswert man sie findet, ein Hirngespinst. Angela Merkel wird sich nach einem solchen Wahlsieg nicht zum Spielball anderer Parteien machen.
Was kommt also? Wahrscheinlich Neuwahlen. Da wird die SPD bestimmt grandios abschneiden, ohne Kandidat, und nachdem sie die Wunschkoalition der meisten Deutschen verhindert hat.
Fazit
Es bleibt mir also nur festzustellen, etwas ernüchtert, dass etwas anderes als die Zustimmung zum Koalitionsvertrag für mich nicht in Frage kommt, wenn sich die SPD inhaltlich dort keinen riesigen Bock leistet. Denn die Frage ist immer: Wäre es ohne die SPD an der Regierung wirklich besser? Und das kann man mit Blick auf die Union ziemlich sicher ausschließen.
Die SPD muss sich trotzdem wandeln. Aber das kann ihr an der Regierung genauso gut oder schlecht gelingen wie in der Opposition. Und für diesen Wandel müssen sich vor allem genau die SPD-Mitglieder einsetzen, die ihrer Partei nicht zutrauen, in einer großen Koalition eine gute Figur zu machen.