Die falsche Idee von Europa
Wie der Euro gerettet werden könnte, wird überall diskutiert; man versucht herauszufinden welche Rettungsschirme man dafür braucht, was die EZB tun sollte, wer die Bösen und wer die Guten sind. Dabei sollte es doch nicht nur um den Euro gehen, sondern um die Idee von Europa!
Das Ziel Europas: Sicherung des Friedens
Der Euro ist eigentlich einer der letzten großen Schritte in der europäischen Integration. Diese europäische Integration wurde nach dem zweiten Weltkrieg begonnen mit dem Ziel, kriegerische und andere schlimme Konflikte zwischen den Staaten Europas in Zukunft zu verhindern. Der Zweck eines vereinten Europas war von Anbeginn die Sicherung des Friedens und des gemeinsamen Wohlstands in Europa.
Diese Idee stand auch hinter der Einführung des Euros, ohne den die deutsche Einigung wohl nicht stattfinden hätte können, da Frankreich glaubte, so eine Dominanz Deutschlands in Europa zu verhindern, die durch eine übermäßig starke Währung Deutsche Mark entstanden wäre. Und tatsächlich bringt der Euro Europa heute dazu, Entscheidungen gemeinsam zu treffen und Alleingänge schwierig zu machen – wenn auch sicher nicht in der Art und Weise, wie sich Frankreich und die anderen Euro-Mitglieder das vorgestellt hatten.
Die Währungsunion als Problem
Der Euro stellt sich nicht als Instrument der Friedenssicherung, sondern als destabilisierendes Element der europäischen Integration dar: Griechenland, Portugal und andere Staaten mit geringeren, aber dennoch schwerwiegenden Problemen wie Spanien und Italien könnten ohne den Euro eigenständig ihre Währungen abwerten und sich über ihre eigene Zentralbank absichern. Weil sie alle aber an die gemeinsam Währung gebunden sind, können diese Lösungswege nicht gegangen werden. Stattdessen müssen die Bevölkerungen und gerade auch die Schwächeren Einschnitte hinnehmen, die sie schlimmer treffen, als das ohne Euro der Fall gewesen wäre, und die sie deswegen als ungerecht empfinden – und dem Euro zuschreiben.
Der Euro hat also dazu geführt, dass ganze Gesellschaften die europäische Einigung verfluchen, dass sich Großbritannien vom Rest Europas isoliert, dass Griechen Deutschland mit dem Deutschen Reich Hitlers vergleichen und Deutschland eine dominante Rolle in der EU einnimmt, die den historischen Erwartungen der übrigen EU-Staaten nicht gerecht wird.
Natürlich ist daran nicht alleine der Euro Schuld. Ohne Bankenkrise wäre es wahrscheinlich noch länger gut gegangen. Ohne die Produktivitätszuwächse in Deutschland im letzten Jahrzehnt wäre es wahrscheinlich auch nicht so weit gekommen, und wären die Griechen und die anderen Südländer verantwortungsvoller mit ihren Möglichkeiten, günstige Kredite aufzunehmen, umgegangen, wäre das alles auch nicht so schlimm gekommen. Und für Deutschland war der Euro auch nicht schlecht: Deutschland hätte ohne den Euro eine bedeutend schlechtere Wirtschaftslage und könnte sicher keine Staatsanleihe zu negativen Zinsen ausgeben.
Das Problem des Euro liegt aber so tief, dass es nicht wirklich behoben werden kann: Eine Währungsunion kann nur dann stabil funktionieren, wenn die gleichen Rahmenbedingungen gelten und ähnliche wirtschaftliche Verhältnisse herrschen – das ist wohl das, was mittlerweile unter einer Fiskalunion verstanden wird. Um einen wirklich stabilen Währungsraum zu schaffen, müsste aber in allen Staaten ein ähnliches Produktivitätsniveau herrschen und eine ähnliche Sozial- und Bildungspolitik durchgesetzt werden, um die ähnliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch in Zukunft gewährleisten zu können.
Dass ähnliche politische Entscheidungen in allen Staaten getroffen werden ist aber nur zu realisieren, wenn Entscheidungsgewalt von der nationalen Ebene auf die Ebene der EU oder Euro-Staaten übertragen wird. Damit sind wir beim grundlegenden Problem: Wenn wir eine Euro-Währungsunion wollen, müssen wir die Souveränität der Nationalstaaten in bestimmten Punkten aufgeben.
Ohne europäische Gesellschaft keine Demokratie
Nach dem eigenen Anspruch der Europäer sollte diese überstaatliche Ebene Entscheidungen nach demokratischen Gesichtspunkten treffen. Doch ist unklar, wie eine demokratische Gestaltung dieser Institutionen aussehen soll – staatenübergreifende Demokratie in Europa ist nämlich eine Illusion.
Demokratische Entscheidungsfindung braucht einen gemeinsamen gesellschaftlichen Raum, in dem die Bürger miteinander diskutieren. Nur wenn europaweit die gleichen Medien gelesen, gesehen und antizipiert werden, wenn die Politik und die politischen Diskurse eine einheitliche Sprache sprechen, die alle Bürger verstehen, kann es eine echte europäische Demokratie geben. Nur wenn der Bürger weniger das nationale und mehr das europäische Gemeinwohl im Sinn hat, werden Entscheidungen getroffen, die für alle gut sind – der Leitspruch „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ funktioniert nicht. Nur wenn es eine integrierte europäische Gesellschaft gibt, können europäische Institutionen wirklich dem demokratischen Anspruch gerecht werden, den wir in Deutschland an unsere deutschen Institutionen seit dem zweiten Weltkrieg stellen.
Leider befinden wir uns noch nicht einmal am Anfang einer Entstehung einer europäischen Gesellschaft. Gerade die Verhandlungen um die Euro-Krise zeigen, dass das nationale Bewusstsein der einzelnen Gesellschaften viel stärker ist als ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Entscheidungen, die europaweite Geltung haben, können deswegen nicht den demokratischen Ansprüchen genügen, die wir an Währungs-, Wirtschafts-, Sozial- oder Bildungspolitik haben sollten. Der Euro schafft ein Demokratiedefizit, das nicht durch bessere Institutionen behoben werden kann, weil die europäischen Bürger dafür selbst die Voraussetzungen schaffen müssten. Deswegen ist der Euro aus Sicht der Demokratie in Europa abzulehnen.
Die richtige Perspektive für Europa
Ich sage nicht, dass man den Euro sofort abschaffen sollte oder einfach in der Krise zugrundegehen lassen sollte. Die Auswirkungen wären um ein Vielfaches schlimmer als der Verlust demokratischer Mitbestimmung. Auf mittlere Sicht ist aber zumindest genau zu untersuchen, ob eine sorgfältig geplante Auflösung des gemeinsamen Währungsraums nicht die gesellschaftlich bessere Alternative ist, die zwar möglicherweise finanzielle Einbußen mit sich bringt, aber die Demokratie in Europa wiederherstellt.
Dass Europa scheitert, wenn der Euro scheitert, ist Schwachsinn. Vielleicht scheitert das Europa, das versucht hat, zu viel gemeinschaftlich zu reglementieren und zu steuern, obwohl die nationalen Gesellschaften dazu eigentlich nicht bereit sind. Aber das Europa, das einen Raum des friedlichen Neben- und Miteinanders schafft und in der Weltpolitik geeint auftritt, wird bestehen. Diese Idee ist weit wichtiger als wirtschaftliche Integration, die Wohlstand vermehrt, aber dafür die Demokratie und den Frieden in Europa gefährdet.