Die Griechenland-Frage: Bei IWF und den EU-Staaten reicht’s nicht…
Die nächsten Tage und Wochen werden für Eurokrisen-Fans wieder spannend: Was mit Griechenland passieren wird, war noch nie in dieser Krise so offen wie jetzt. Verläuft alles so „wie immer“, werden wir mal wieder einen Kompromiss in allerletzter Minute bekommen, bei dem sich Griechenland auf einige der geforderten Reformen und Ziele einlässt und eventuell die Schuldenlast leicht verringert wird – was bedeutet, dass wir den gleichen Zirkus in ein bis zwei Jahren wieder haben werden, weil sich die optimistischen Prognosen der Gläubiger bisher noch jedes Mal als völlig falsch herausgestellt haben und Griechenland wieder Probleme haben wird, seinen Haushalt mit den Vorgaben und der Realität in Einklang zu bringen.
Langfristig zu denken ist nicht die Stärke der Troika
Dabei ist genau das Problem: Kein vernünftiger Mensch nimmt in Griechenland irgendetwas in Angriff, wenn er weiß, dass die Chancen ganz gut stehen, dass in einem Jahr alles für den Kater war. Deswegen bleiben Investitionen aus, und wenn niemand investieren will, weil unsicher ist, ob Griechenland im Euro und in der EU bleiben kann, helfen auch die tollsten Strukturreformen nichts.
Deshalb sind die Forderungen der Gläubiger* auch so besonders schwachsinnig: Der Primärüberschuss, der bestimmt, wie viel der griechische Staat sparen müssen wird, ist zwar laut aktuellen Medienberichten für dieses Jahr auf etwa ein Prozent runterverhandelt, was wohl eine auch auf Dauer tragbare Lösung sein könnte. Problem nur: Die nächsten Jahre soll er auf zwei, drei, dreieinhalb Prozent ansteigen. Das ist unrealistisch; die überzogenen Sparziele werden aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf die griechische Wirtschaft zu einem weiteren Einbruch führen, wie man die letzten Jahre schön beobachten konnte. Das heißt, wir werden 2016 oder 2017 wieder Verhandlungen sehen, alle Optionen offen, sodass jeder Investor jetzt schon weiß, es lieber sein zu lassen mit Griechenland.
Würde man jede Unsicherheit mit einer langfristigen realistischen Vereinbarung beseitigen, könnten die in den nächsten Jahren anstehenden Zins- und Schuldenrückzahlungen möglicherweise getragen werden. Viele Stimmen, unter anderem auch der IWF, sehen aber einen größeren Schuldenschnitt oder eine größere Restrukturierung (man könnte die Schuldzahlungen auf hundert oder hundertfünfzig Jahre strecken, wie das schon des Öfteren in der Geschichte passiert ist) notwendig an – darüber wird aber in den aktuellen Verhandlungen nicht ernsthaft in den benötigten Ausmaßen gesprochen. Eine sicher in den nächsten Monaten und Jahren notwendige Entscheidung, wie man mit den griechischen Schulden weiter verfahren will, wird also vertagt; das bedeutet natürlich, dass die langfristige Perspektive für Unternehmer und Investoren unsicher bleibt.
Wie kurzfristig die Gläubiger denken, lässt sich immer auch schön am Beispiel der geforderten Privatisierungen ablesen: Eisenbahn, Autobahnen, Häfen und andere elementare Infrastruktur zu privatisieren hat sich bisher noch in den seltensten Fällen als langfristig sinnvoll erwiesen, insbesondere nicht aus Sicht der Kosten für den Staat. Privatisierungen bringen kurzfristig ein wenig Geld, langfristig aber im besten Fall nichts.
Das Verhalten der Troika schadet nicht nur Griechenland
Das paradoxe am Verhalten der Gläubiger ist aber: Nicht nur Griechenland hat darunter zu leiden, sondern die Folgen für den IWF und die EU-Staaten könnten genauso unangenehm werden.
Eigentlich müsste es den Gläubigern jetzt darum gehen, möglichst viel von ihrem Geld, das sie Griechenland geliehen haben in den letzten Jahren, wieder zurückzubekommen. Das ist der Grund, warum Banken für gewöhnlich in Probleme geratenen Betrieben und Personen entgegenkommen: weil weniger oder später zurückzahlen immer noch besser ist als nichts zurückzahlen, weil vollkommene Pleite.
Das scheint aber nicht der Ansatz der EU-Staaten und des IWF zu sein. Der IWF weiß aus seiner eigenen Forschungsabteilung seit einigen Jahren, dass Sparbemühungen in Krisen nicht zu einer Besserung, sonder Verschlimmerung der Lage führen; er weiß auch, dass nicht alle Strukturreformen besonders gut für das Wachstum sind, v. a. auf dem Arbeitsmarkt; und trotzdem bleiben die Forderungen des IWF davon komplett unberührt.
Möglicherweise stimmt es, dass der IWF und die EU-Staaten Angst haben, Griechenland nachzugeben, weil sie ja dann theoretisch anderen Ländern auch nachgeben müssten. Das ist tatsächlich auch ein valides Argument, Gleichbehandlung außerdem ein wichtiger Gerechtigkeitsgrundsatz. Nur: Vielleicht sind die Regeln, die der IWF für seine Hilfsprogramme weltweit aufstellt, und die Regeln, die die EU für Verschuldung, Reformen, etc. vorsieht, einfach auch überall für alle Länder gleich beschissen! Der richtige Schritt wäre also, die Fehler der Vergangenheit zu erkennen und es in Zukunft nicht nur in Griechenland, sondern überall besser zu machen …
Wenn man nicht zwangsweise „Recht haben“ müsste, könnte man rational abwägen, ob man wirklich Griechenland Pleite gehen lassen will: Moderaten Reformforderungen und einer ausreichenden, geordneten Schuldenrestrukturierung, bei der man auf einen größeren Anteil der Schulden verzichtet, dafür aber Griechenland im Euro hält, steht eine ungeordnete Pleite gegenüber. Die wird mit einer nicht besonders kleinen Wahrscheinlichkeit sofort zu Ansteckungseffekten bei anderen Ländern führen, zu denen wahrscheinlich auch Italien und Frankreich gehören; langfristig wird niemand mehr davon ausgehen, dass der Euro unumkehrbar ist, und Draghi bei seiner nächsten „whatever-it-takes“-Rettungsaktion ausgelacht; und die Kosten für die anstehende humanitäre Katastrophe in Griechenland wird man trotz allem tragen müssen – außer natürlich man macht’s wie mit den Flüchtlingen …
Die Aussichten für die EU-Staaten sind also langfristig nicht besonders rosig. Griechenland dagegen würde zwar mit einer erklärten Staatspleite möglicherweise erstmal ins Chaos stürzen, hätte sich aber immerhin der Altlasten und kontraproduktiven Forderungen entledigt und wäre wohl in zehn bis zwanzig Jahren besser dran als mit dem fortgeführten Wahnsinn seiner Gläubiger. Vielleicht wird Griechenland also nicht wie bisher um jeden Preis die Bedingungen für eine Einigung akzeptieren wollen.
Fußnote
* Hier eine aktuelle Übersicht der SZ zu den unterschiedlichen Positionen der Gläubiger und Griechenland.