Transparenz vs. Privatsphäre in Liquid Feedback
Andi Popp hat mal wieder einen sehr fundierten Artikel über die Forderung nach Transparenz in Liquid Feedback geschrieben: Sind alle Parteimitglieder auch Politiker? Reloaded
Er beschreibt darin, dass die Forderung nach Transparenz in einer Partei durch zwei Argumente begründet ist: Zum einen müssen die Handlungen der Vorstände und eventuellen Delegierten transparent dargestellt werden, damit jedes Parteimitglied kontrollieren kann, ob diese Handlungen dem Mandat und den Absichten der Wähler entsprechen. Transparenz ist also das Mittel zur notwendigen Umsetzung von Kontrolle.
Zum anderen beschreibt Andi Popp, dass auch alle anderen Bürger gegenüber einer politischen Partei einen Transparenzanspruch hat, da Parteien auf den Staat Einfluss nehmen wollen und deswegen für den potentiellen Wähler auch Entscheidungsgänge und Absichten transparent dargelegt werden müssen.
Allerdings würde ich daraus in keiner Weise, wie Andi Popp das tut, schließen, dass Parteimitglieder bei basis-demokratischen Handlungen als Politiker agieren und deshalb der Forderung nach Transparenz unterworfen sind. Die hier zutreffende Analogie ist der Volksentscheid: Hier tritt auch der einzelne Bürger als „Politiker“ auf, ist aber dennoch nicht zur Transparenz verpflichtet, da er ausschließlich sich selbst vertritt und dementsprechend niemandem Rechenschaft schuldig ist. Deshalb sind Volksentscheide geheime Wahlen.
Bei einer Partei, könnte man argumentieren, ist man aber immerhin dem Bürger und potentiellen Wähler Rechenschaft schuldig. Doch werden bei Abstimmungen keine Entscheidungen von einzelnen Personen getroffen, deren Motive und Handlungen man analysieren könnte, sondern Mehrheitsentscheidungen, die sich auf – beim letzten Bundesparteitag waren es etwa eintausend – Personen verteilen. Forderungen nach Transparenz laufen hier ins Leere, da eine Kontrolle einzelner Stimmen keinen Sinn hat.
Ähnlich ist das auch in Liquid Feedback: Es werden Mehrheitsentscheidungen zwischen hunderten von Personen getroffen; eine Überprüfung, wer wie gestimmt hat, hat für den Bürger keinen Wert, die Forderung nach Transparenz ist somit haltlos und dem Schutz der Stimmgeber ist durch eine Geheimhaltung der Abstimmung Vorrang zu gewähren.
Ein Problem tritt lediglich beim Delegieren von Stimmen auf: Hier greift der Kontrollanspruch. Deshalb sollte es jedem Mitglied von Liquid Feedback freistehen, wie viele seiner letzten Abstimmungen welcher Themengebiete er den anderen Mitgliedern offenlegen will – und somit die für Delegationen notwendige Transparenz herstellen.
10 KOMMENTARE
Jetzt wollte ich eigentlich die Volksentscheidsanalogie angehen, aber ich denke da sind wir uns erstaunlich einig, denn du hast sie ja schon selbst ausgehebelt. Bei einem Volksentscheid entscheidet, wie der Name schon sagt, das Volk und damit der Souverän selbst. Es ist damit niemandem zur Rechenschaft verpflichtet.
Gehen wir also das zweite Argument an. Wenn ich dein Argument richtig verstehe, sagst du, dass die Tatsache, einer Mehrheitsentscheidung vom Transparenzgebot befreit, weil die schiere Masse von Entscheidern den einzelenen Entscheider ins Hintertreffen geraten lässt.
Dieses Argument halte ich für sehr gefährlich, denn damit entbindest du je nachdem welche Grenzgröße du festsetzt den Bundestag (622 Mandate), vielleicht sogar nur die Unionsfraktion (239) Mandate oder gar die SPD (mehr als 500 Deligierte auf einem Bundesparteitag) vom Transparenzgebot.
Festzuhalten ist dabei, dass man zwischen dem grundsätzlichen Transparenzgebot und der Umsetzung (etwa ob namentliche Abstimmungen sinnvoll sind) unterscheiden muss. Deswegen nochmal den Hinweis auf mein Self-Kommentar. Wir reden hier über einen einzelnen kleinen Baustein, nicht darüber was wie oder warum irgendwas im LF sinnvoll ist.
Meines Erachtens ist es aber durchaus ein Unterschied in der Abwägung zwischen Transparenz und Privatsphäre/Schutz des Einzelnen ob die Kontrolle dadurch berechtigt ist, weil der Abstimmende nicht nur seine eigene Stimme, sondern andere mitvertritt, oder ob andere Bürger Entscheidungsfindungen innerhalb einer Partei beobachten möchten.
Bei letzterem bleibe ich der Meinung, dass Transparenz bei einer basis-demokratischen Entscheidung, sei es ein Volksentscheid oder ein Parteitag, hinter der Privatssphäre zurückstehen muss.
Bei deinen Beispielen trifft dies jeweils nicht zu, da hier immer andere von Delegierten/Abgeordneten vertreten werden.
Aber ich habe die Delegierten der SPD nicht gewählt. Dann darf ich gegenüber der SPD auch keine Transparenz fordern. Oder wenn ich das auf die Spitze treibe, dürfte ich auch nur die in Bayern gewählten Bundestagsabgeordneten zur Transparenz mir gegenüber verpflichten. Die Tatsache, dass Dritte der Person Rechte übertragen haben impliziert für mich jetzt keine Transparenz (auch wenn ich natürlich neugierig bin ;) )
Ich denke die Reduktion der Transparenzpflicht auf Wahl/Delegation wird dem Problem hier nicht gerecht. Wenn ich dich falsch verstehe, erklär mir bitte nochmal deine kausale Herleitung der Transparenzpflicht in 3 Sätzen auf den Punkt gebracht.
Tut mir leid, vorher muss ich dich bitten, mir zwei Fragen kurz zu beantworten:
Warum genau haben Bürger einer politischen Partei gegenüber einen Transparenzanspruch?
Wie und wozu sollen Bürger Informationen über die einzelnen Stimmen (und möglicherweise dahinterstehender Interessen) bei basis-demokratischen Abstimmungen wie bei uns auf dem BPT nutzen?
Danke :-)
Aktualisierung: Der da (Piraten-Watchblog) beschreibt es ganz gut :-)
Zur ersten Frage:
Weil wir die Stimme des Bürgers haben wollen und er als mündiger Bürger möglichst umfassend informiert bei seiner Meinungsbildung sein soll. Bitte die Frage nicht falsch verstehen: Bist du wirklich der Meinung Parteien müssen nicht transparent sein oder willst du dir nur Argumente zurecht legen um gegen LF argumentieren zu können?
Zur zweiten Frage:
Nochmal festzuhalten: Ich habe nichts von namentlicher Abstimmung gesagt, es geht um das allgemeine Prinzip. Aber wenn ich ein generisches Beispiel(!) nennen darf: Nehmen wir an der BPT beschließt plötzlich er will Maßnahme A umsetzen, die seit Ewigkeiten von Gruppierung X vertreten wird, die ich vielleicht gar nicht leiden kann. Bisher haben sich die Piraten aber massiv gegen Maßnahme A gewährt. Da würde mich schon interessieren, woher dieser Wandel kommt. Hat Gruppierung X die Piratenpartei “gehijackt”? Dann kann ich sie nicht mehr wählen. Aber vielleicht gibt es auch andere Gründe, eventuell war es ein typischer Samstag-Abend-Schnellschuss, dann besteht sicher noch Hoffnung.
Parteien sollten meines Erachtens schon ein gewisses Maß an Transparenz bieten. Dazu gehört aber meines Erachtens nicht die Nachvollziehbarkeit einzelner Stimmen. Es zählt nur, für welche politische Meinung sich die Partei insgesamt entscheidet.
Du hast natürlich Recht, dass solche Entscheidungen wie von dir erwähnt gewisse Transparenz bieten müssen, damit der Bürger sie richtig einschätzen kann.
Dafür ist aber komplett ausreichend, wer abgestimmt hat und unter welchen Verhältnissen. Wer persönlich wie abgestimmt hat, ist dafür nicht notwendig zu wissen.
Und, um nochmal darauf konkret einzugehen, auf Liquid Feedback trifft das alles überhaupt nicht zu. Nichtmitglieder werden die einzelnen Stimmen sowieso verborgen. Dementsprechend entbehrt die Transparenz in Liquid Feedback jeglicher Grundlage und ist damit nichts anderes als gegenseitige Überwachung.
Wir sind als Partei niemandem zur Transparenz verpflichtet außer unseren Mitgliedern.
Diesen Post hier finde ich in dem Zusammenhang relativ aufschlussreich: http://piratenwatchblog.blogsport.de/2010/08/19/politische-willensbildung-ein-verbreitetes-missverstaendnis/
Bitte erkläre mir mal jemand, wieso ihr denkt, dass wir als Partei irgendjemandem außer unseren Mitgliedern zu Transparenz verpflichtet sind???! Theoretisch müsste man diese Transparenz dann ja für jeden Hasenzüchterverein verlangen…
Was die Diskussion zumindest über #lqfb verkürzt: Andi, deine Argumente treffen gar nicht zu. Außenstehende, also Bürger, potentielle Wähler, haben ja gar keinen Einblick, wer wie abgestimmt hat.
Dies kann also unmöglich als Rechtfertigung der Transparenz im #lqfb dienen!
Zum 4357894357894359843. Mal: ICH REDE NICHT VON LIQUID FEEDBACK :P:P:P:P
Jajajajajaja, wollte nur das abschließen :-) Bin aber immer noch der Meinung, dass die Argumente auch auf alle anderen „basis-demokratischen“ Entscheidungen zutreffen :-P
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