Das Problem der Piraten: Das Zeitalter der Freiheit ist…
Die meisten Piraten sind davon überzeugt, dass sie die
neuen Grünen werden: Eine Partei, die aus einer
außerparlamentarischen Bewegung entsteht und durch die Aktualität
ihrer Themen in die Parlamente getragen wird. Nun haben die
meisten Piraten aber auch schon gesehen, dass der Aufstieg
zumindest nicht so schnell vonstatten geht, wie es bei den Grünen
der Fall war – von einem Einzug in einem Landtag oder gar in den
Bundestag stehen die Piraten noch weit entfernt. Ein Problem der
Piraten mag ihre Unfähigkeit sein, als Partei aufzutreten, Themen
zu setzen und als kompetent akzeptiert und gefragt zu sein, bedingt
durch ihre Organisationsstrukturen und die Ablehnung der
Parteimitglieder gegenüber Machtübertragung auf höhere
Parteigliederungen. Doch auch wenn all diese Probleme gelöst wären,
würde ich den Piraten keine allzu guten Prognosen stellen. Der
Grund dafür liegt in der Diskrepanz des Parteihauptthemas und der
deutschen Gesellschaft: Anders als die FDP schaffen es die Piraten,
tatsächlich reine Verfechter der Freiheit zu
sein; doch mit diesem Thema sind die Piraten zu spät dran. Zwar
bringt uns das Internet dazu, vieles zu überdenken, vieles
reformieren zu müssen; zwar sind viele Grundrechte in Zeiten der
präventiven Terrorbekämpfung in Gefahr, werden populistisch
missbraucht und im Hintergrund untergraben; doch interessiert all
dies nur einen kleinen Teil der Gesellschaft. Wer engagiert sich
gegen die Vorratsdatenspeicherung? Wer demonstriert für Änderungen
beim Urheberrecht? Der Unterschied zu den Grünen zeigt
sich hier: Sie hatten und haben eine breite
gesellschaftliche Basis, und das Thema Umwelt und Nachhaltigkeit
ist ein Thema der Zukunft. Nur eine große politische Aufregung, wie
2009 Zensursula, könnte den Piraten aufhelfen, doch halte ich
so ein Ereignis für unwahrscheinlich – das Thema der Piraten ist
nicht mehr das Thema der Gesellschaft. Ich wage sogar zu behaupten:
Das Zeitalter der Freiheit ist vorbei –
Freiheit als absolut wichtigster Wert ist eine temporäre
Entscheidung! Erst als die Ernährung bei großen Teilen der
Bevölkerung sichergestellt war, wurde Freiheit als Ziel attraktiv –
der Mensch isst lieber und opfert dafür seine Freiheit, als dass er
frei ist und verhungert. Als nach dem Zweiten Weltkrieg jeder
Gewinn an Wohlstand die Lebenssituation der Menschen
verbessert hat, war die Zielsetzung der Gesellschaft
Wirtschaftswachstum; diese Zeit ist jetzt (wenn auch nur für den
Großteil der Gesellschaft) vorbei. Genauso ist das Ausmaß an
Freiheit in unserer Gesellschaft für den überwiegenden Teil der
Gesellschaft vollkommen ausreichend. Ganz im Gegenteil nimmt die
Überforderung der Menschen durch zu viele Möglichkeiten und das
Gefühl von Unsicherheit immer weiter zu. Für diese Menschen, die
das Gros unserer Gesellschaft bilden, ist Freiheit kein
ausschlaggebendes Thema mehr – die Gesellschaft und ihre Politik
wird sich anderen Themen zuwenden bzw. hat das in vielen Bereichen
schon getan. Solange also unsere Freiheit und unser Wohlstand sich
ungefähr auf dem heutigen Niveau befinden, wird die
Gesellschaft andere Themen als wichtiger ansehen. Ich könnte mir
vorstellen, dass nach dem Zeitalter der Freiheit
Gerechtigkeit als Thema der nächsten Zeit
dominieren wird. Vielleicht bleibt es auch bei der engstirnigen
Version, Umwelt und Nachhaltigkeit – auf jeden Fall wird
das Thema der Zukunft nicht das der Piraten
sein.